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Das Reinheitsgebot
DIE ZEIT vom 04.05.2024 S. 13 | Wörter 361
Es klingt nach einem großen, alten Versprechen. Doch ein wirkliches Qualitätslabel ist es leider nicht
Als vor 508 Jahren im oberbayerischen Ingolstadt die Herzöge Ludwig X. und Wilhelm IV. eine Landesordnung erließen, wonach zum Bierbrauen »allein Gersten, Hopffen und Wasser genomen und gepraucht sölle werden«, da ging es um alles Mögliche – und am Rande auch um Reinheit.
Als Maßnahme gegen den Hunger sollte Weizen und Roggen gegessen und nicht versoffen werden – daher »allain Gersten«.
Später wurde, was im 20. Jahrhundert als deutsches Reinheitsgebot weltberühmt werden sollte, zur Hand genommen, um Konkurrenz von den eigenen Märkten abzuhalten (etwa die Briten). Und ja, auch Schadstoffe sollten damit aus dem Bier verbannt werden, weil im 16. Jahrhundert noch mancher Brauer seinen Stoff mit Spänen, Ruß, Tollkirschen, Stechäpfeln oder Schlafmohn »veredelt« hatte.
Aber heute, wo von Konsumentenseite Reinheit in Form von Bioqualität gewünscht wird, da dürfen unter dem Label Reinheitsgebot noch immer schlimmste Schindludereien begangen werden.
Statt zu Hopfen greifen viele Industriebrauereien zu Hopfenextrakt – einem Konzentrat, das mit Lösungsmitteln aus Hopfen extrahiert wird. Oder sie nehmen Malzextrakt statt Malz. Um ihr Gebräu länger haltbar zu machen, filtern und stabilisieren sie es mit Kieselgur. Oder sie geben feines Plastikgranulat mit der Bezeichnung Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP) ins Bier, um trübungsbildende Gerbstoffe noch gründlicher herauszufiltern. Da an diesem Plastik allerdings auch wichtige Eiweißstoffe aus dem Bier haften bleiben, ist das halb tot gefilterte Bier geschmacklich bettlägerig – dafür aber farbstabil! Und zwölf Monate haltbar!
Erlaubt ist auch der Einsatz von Algenmehl, Aktivkohle oder radioaktiver Strahlung. Manche Brauer nehmen helles Bier und färben es mithilfe von Röstmalzkonzentraten zu dunklem Bier um – Augenwischerei mit dem Segen des angeblichen Reinheitsgebots, das es gleichzeitig innovativen, ökologisch arbeitenden Brauern nicht (oder nur via Sondergenehmigung) erlaubt, mit Früchten oder Kräutern zu experimentieren und das Ergebnis als deutsches Bier zu bezeichnen. Kritiker des Gebots beanstanden auch, dass mithilfe von Enzymen die sonst mehrere Wochen dauernde Reifung auf wenige Tage gekürzt wird.
Fazit: Mit Reinheit hat das Reinheitsgebot so wenig zu tun wie eine ethische Richtlinie der Fifa mit Ethik. Vielmehr müsste für Deutschlands bestes Getränk ein richtiges Qualitätslabel her: ein Natürlichkeitsgebot, das Sauberkeit garantiert statt suggeriert.
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Autor Urs Willmann, Jahrgang 1964, ist Redakteur im Ressort Wissen der ZEIT.
»Bier – das Buch« ist sein Standardwerk für Einsteiger
Das Reinheitsgebot, einst als große Verheißung für die Bierqualität gepriesen, hält nicht immer, was es verspricht. Was vor über 500 Jahren in Ingolstadt eingeführt wurde, um Weizen und Roggen vornehmlich zur Ernährung zu nutzen und Wettbewerber fernzuhalten, hat sich heute zu einem Deckmantel für fragwürdige Praktiken entwickelt. Industriebrauereien nutzen Hopfen- und Malzextrakte, Plastikgranulat und andere Zusatzstoffe, die die Reinheit des Bieres infrage stellen. Kritiker fordern daher ein neues Qualitätslabel, das echte Natürlichkeit und Sauberkeit gewährleistet. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, warum das Reinheitsgebot reformiert werden sollte und was das für Ihr Lieblingsbier bedeutet.